Alles, was bisher hier zum Aussehen und zu den Anzeigen und Bewegungen der Rostocker astronomischen Uhr geschrieben wurde, kann vom Besucher betrachtet und verfolgt, sozusagen kontrolliert werden. Für die Uhrwerke, die 'inneren Organe' der Monumentaluhr, die das Ganze in Funktion setzen, trifft das leider nicht zu. Die Enge im Uhrenkasten, im Raum zwischen den beiden Chorscheitelpfeilern und der Altarrückwand, lassen nicht zu, die in drei Etagen angeordneten Werke ohne Gefahr für Menschen und Technik Gästen zu zeigen.
Wir wollen diesem Umstand dadurch Rechnung tragen, dass wir der Beschreibung der Uhrwerke größeren Raum geben, als das bei solchen Darstellungen allgemein üblich ist.
Das Gesamtwerk besteht aus 6 einzelnen Werken, von denen 5 einen Gewichtsantrieb besitzen.
Vom Hauptwerk (Zeitwerk) wird das Zeigerwerk (ohne eigenen Antrieb) bewegt. Das Zeigerwerk ist ein Getriebe aus 5 Zahnrädern und 4 Trieben, über das der Sonnen- und der Mondzeiger im Rhythmus von Monat (27, 32 d) und Jahr (365 d) gedreht werden. Lediglich der Stundenzeiger ist direkt mit dem Tagesrad des Hauptwerkes verbunden.
An diesem 288-zähnigen Tagesrad (1 U/d) befindet sich ein Zapfen, durch den um Mitternacht ein Hebelmechanismus über einen Seilzug das Kalenderwerk auslöst. Dann wird die Kalenderscheibe um knapp 1° (genau: 360°/365) gedreht. Denn auf der Rückseite der Kalenderscheibe ist ein 365-zähniges Kronrad befestigt, das bei jeder Auslösung des Kalenderwerkes um einen Zahn weiter bewegt wird. Das Kalenderwerk ist spätestens 1472 erbaut worden, könnte aber - neben dem Apostelwerk - auch schon von der Uhr von 1379 stammen. Damit gehört es zu den ältesten der vorhandenen Werke.
Am 144-zähnigen Stundenrad (1 U/d) des Hauptwerkes befindet sich ein anderer Zapfen. Durch ihn wird, ebenfalls über einen Seilzug und einen Winkelhebel-Mechanismus, stündlich das 1641/43 durch den Rostocker Meister Lorentz Borchardt erbaute Stundenschlagwerk in der obersten der drei Werketagen in Bewegung gesetzt. Durch das Stundenschlagwerk wird eine kleine Stundenschlagglocke angeschlagen. Sie erklingt täglich 156-mal.
Das Musikwerk befindet sich mit dem Stundenschlagwerk in einem gemeinsamen eisernen Rahmen. Das deutet auf eine gleichzeitige Entstehung hin. Lorentz Borchardt hatte nicht nur diese beiden Werke erbaut, sondern auch die dazu gehörenden Glocken gegossen. In der Rechnung über die Arbeiten von 1641/43 findet sich unter dem Datum des 19. Oktober 1641 der Eintrag: "Meister Lorentzen, Das Er die Glocken zur Sing Uhr selbst gegoßen, dafür ihm verehret, mit meiner Collegen consens 15 Gulden"". Diese Glocken wurden 1885 erneuert.
Das Musikwerk wird stündlich nach dem Stundenschlag vom Stundenschlagwerk ausgelöst. Es setzt sich für rund eine Minute in Bewegung und versetzt eine Stiftwalze in eine Umdrehung. Diese Metallwalze von rund 78 cm Durchmesser und 27 cm Breite ähnelt der Trommel einer modernen Waschmaschine. In 129 Zeilen und 28 Reihen (von denen 23 derzeit genutzt werden) sind 3612 Vierkantlöcher. In sie können Stifte ("Daumen") gesteckt werden. Über den 23 genutzten Lochreihen befinden sich Metallwinkel. Beim Lauf der Trommel stoßen die Daumen gegen die Winkel. Über Drahtzüge und Winkelhebel werden Schalenglocken mit Durchmessern zwischen 12,5 cm und 27 cm angeschlagen und zum Klingen gebracht.
Der Ort der Daumen in den Lochzeilen bestimmt, welche der Glocken erklingt - also die Tonhöhe. Der Abstand der Daumen in den Reihen legt die Tonabstände fest. Die Folge der Daumen in den Zeilen und Reihen ergibt dann die Melodie. Sie wird von Zeit zu Zeit vom Organisten entsprechend den Erfordernissen des Kirchenjahres eingestellt.
Bei der großen Instandsetzung der Uhrwerke 1974/77 baute der Berliner Metallrestaurator Wolfgang Gummelt eine Mechanik ein, die Glockenspiel und Stundenschlag bei kirchlichen Veranstaltungen und Konzerten abzuschalten gestattet.
Das sechste Werk schließlich ist das Apostelwerk. Es befindet sich auf der Brüstung der Schaufront der Uhr hinter der hölzernen Laterne. Mittags um 12 Uhr und um Mitternacht wird es vom Stundenschlagwerk ausgelöst. Dann öffnen sich die Türen links und rechts der Christusfigur und der Speichenkranz mit den sechs Aposteln setzt sich in Bewegung. Metallbügel unterhalb der Figurenachsen stoßen beim Umgang gegen Stifte, so dass sich fünf der sechs Apostel - Petrus, Johannes, Jakobus d.J., Jakobus d.Ä. und Paulus - beim Umgang Christus zuwenden, während gleichzeitig dessen segnende Geste ausgelöst wird. Judas bleibt davon ausgenommen.
Das Apostelwerk ist - wie das Kalenderwerk - von 1472 oder gar schon von 1379.
Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass das Hauptwerk, durch das letztlich alle Bewegungen in und an der Uhr gesteuert werden, das Herz dieser Uhr ist. Es ist in einen handgeschmiedeten Rahmen von 1,62 m Höhe, 1,22 m Breite und 0,79 m Tiefe eingefügt. Eisenkeile verbinden die 29 größeren Rahmenteile miteinander.
Seit 1710 besitzt das Hauptwerk eine Haken-Hemmung. Damals ließ der Rostocker Kaufmann und Vorsteher von St. Marien, Hinrich Hoppe, die ursprüngliche Spindel-Hemmung durch eine moderne Hemmung ersetzen.
Das Pendel macht eine Schwingung (= Hin- und Hergang) in 3 Sekunden. Das Ankerrad (20 Zähne; -> Uhrwerkskizze) dreht sich einmal in der Minute. Ein Laternentrieb mit 10 Stecken auf der Welle des Ankerrades greift in ein 50-zähniges Rad, das sich in 5 Minuten einmal dreht. Von ihm wird über Laternentriebe mit je 12 Stecken zunächst das Stundenrad und über dies das Tagesrad bewegt. Von letzterem geht die Stundenzeigerwelle aus, die das Pendel kreuzt (das darum an dieser Stelle gekröpft ist) und auf der ein 12-zähniges Walzenrad sitzt.
Das ist die Stelle, von der aus das Zeigerwerk bewegt wird. Die Funktionsweise ist aus der Uhrwerkskizze ersichtlich: Über Walzentriebe und Zahnräder werden zunächst das Wochenrad, danach das Jahresrad und das (siderische) Monatsrad gedreht. Die beiden letzteren Zahnräder sind über konzentrisch auf der Zeigerwelle steckende Rohrstücke fest mit der Sonnen- bzw. der Mondscheibe verbunden.
Das Uhrwerk und das Zeigerwerk stammen von 1472 und wurden 1641/43 umgebaut. Damals entfernte Lorentz Borchardt ein Stundenschlagwerk, das seit langem unbenutzt stand, und von dem ursprünglich die Draht- oder Seilverbindung zur Stundenglocke auf dem Turm ausgelöst wurde. Denn bis dahin besaß die Schauuhr in der Kirche keine eigene Stundenglocke! Eine ähnlich lange Verbindung zwischen Uhrwerk und Glocke gab es bis 1754 in der Lübecker Marienkirche. Hier wie dort wird die große Entfernung zwischen Uhrwerk und Stundenglocke störanfällig gewesen sein, so dass der Auftrag an Meister Borchardt, der Uhr einen eigenen Stundenschlag zu geben, mehr als verständlich ist. Noch heute ist der Platz des ehemaligen Stundenschlagwerkes zu erkennen. Denn Hauptwerk und Stundenschlagwerk standen ursprünglich in einem gemeinsamen Rahmen auf einem eichenen Balkenwerk. Diese hölzernen Grundbalken sind in ursprünglicher Größe erhalten, werden aber nur noch etwa zur Hälfte genutzt. Von der Verkleinerung des Eisenrahmens zeugen Meißelspuren. Überhaupt zeigen die Rahmenstreben so viele heute nicht mehr benutzte Bohrungen, Kerben und andere Gebrauchsspuren, dass die Vermutung berechtigt ist, Hans Düringer habe Rahmenteile von 1379 für das neue Werk von 1472 wieder verwendet (wie das in jener Zeit mit den handgeschmiedeten Eisenteilen üblich war).
Die fünf Uhrwerke werden bis heute von Hand aufgezogen, vier davon täglich. Lediglich beim Kalenderwerk genügt ein wöchentlicher Aufzug.